Botulinumtoxin-Typ A-Therapie bei Tinnitus aurium

bei Dr. med. J. Holtmann in unserer Praxis

 

Im Rahmen der in unserer Praxis durchgeführten Kaumuskeltherapie und Trapeziustherapie mit Botolinumtoxin Typ A wurden wir auf den erfreulichen Nebeneffekt der Reduktion eines vorbekannten Tinnnitus aufmerksam.

Dieser Effekt zeigte sich wiederholt, sodass wir aktuell von einem engen Zusammenhang einer überaktiven Kaumuskulatur, Verspannungen im Schulter-Nackenbereich sowie eines Tinnitus ausgehen. 55% der Patienten mit Kiefergelenksbeschwerden geben Knackgeräusche im Ohr an, was die enge anatomische Lagebeziehung unterstreicht. Im Rahmen eines Fallbeispiels gehen wir näher auf den Zusammenhang ein.

 

Fallbeispiel Tinnitustherapie mit Botulinumtoxin A:

51-Jährige Schulleiterin eines Gymnasiums. Zu Beginn stellte sich die Patientin zur Behandlung von Kiefergelenksschmerzen mit Botulinumtoxin in unserer Praxis vor (Bruxismus). Ihr Zahnarzt habe ihr bereits mehrere Zahnschienen angefertigt, die jedoch durch nächtlich ausgeprägte Mahlbewegungen zerbrachen. Auf die Botulinumtoxintherapie wurde Sie durch den Zahnarzt und eine Kollegin aufmerksam.

Bei einem ausführlichen Anamnesegespräch erwähnte die Patientin einen seit Jahren bestehenden Tinnitus des rechten Ohres sowie ausgeprägte Verspannungen im Schulternackenbereich. In besonders stressigen Phasen würde der Tinnitus lauter werden. Insgesamt habe sie sich mit dem Tinnitus arrangiert. Momentan sei der Tinnitus jedoch nahezu unerträglich. Wiederkehrende Ohren-und Kiefergelenksschmerzen würden die Intensität des Tinnitus triggern. Sie hätte bereits in der Zukunft einen Zusammenhang zwischen Verspannungen im Kiefer- und Nackenbereich festgestellt. Häufig wird sie morgens mit Kiefer- und Spannungskopfschmerzen wach. Durch Schmerzmittel und Physiotherapie/Massagen konnten diese kurzfristig gebessert werden, jedoch nie von ausreichend langer Dauer. Bezüglich des Tinnitus seien Maßnahmen wie eine Cortisontherapie gescheitert. Lediglich Entspannungstechniken (autogenes Training) verschaften zeitweise Linderung.

 

Befund:

In der Untersuchung zeigte sich ein vergrößerter druckschmerzhafter Kaumuskel (M. masseter) sowie ein Druckschmerz im Inneren des Gehörgangs. Es tasteten sich Verspannungen im Nackenbereich. Bekannter pfeifender Tinnitus aurium rechts.

 

Therapie:

Es erfolgte die Botulinumtoxin A Therapie der Kaumuskulatur Die Basis der Indikationsstellung bildet die aktuelle S3-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von Bruxismus“ aus Mai 2019:

In der Kontrolluntersuchung nach 3 Wochen zeigte sich eine deutliche Besserung der Kiefergelenksschmerzen sowie der Verspannungen der Nackenmuskulatur. Die Patientin wache nun ohne Kopfschmerzen am Morgen auf. Erfreulicherweise habe sich ihr Tinnitus in der Lautstärke deutlich verringert und sei zeitweise gar nicht mehr wahrnehmbar.

 

Was ist Botulinumtoxin A?

Botulinumtoxin A, landläufig auch mit einem der verfügbaren Handelsnamen Botox® bezeichnet, ist ein natürlich vorkommendes Protein. Es wird zur Verwendung in der Medizin im Labor hergestellt. Durch die Übertragung von Signalen von Nervenzellen auf einzelne Muskeln und einige Drüsen werden diese teilweise oder vollständig für bis zu 6 Monate gehemmt. Bekannt ist Botulinutoxin A vor allem aus der ästhetischen Medizin, wo es meist zur Behandlung von Falten oder bei übermäßigem Schwitzen eingesetzt wird. Auf Grund der ausgezeichneten Wirksamkeit werden nur geringste Mengen von Botulinumtoxin A benötigt. So kann der gewünschte Effekt erzielt werden, ohne dass allergische Reaktionen oder Unverträglichkeiten beschrieben sind. Auch den ganzen Körper betreffende Nebenwirkungen sind nicht anzunehmen.

Behandlungstechnik: Es wird das Botulinumtoxin mit einer feinen Nadel direkt in die Kaumuskeln injiziert. Das Toxin wirkt, indem es die Freisetzung bestimmter Neurotransmitter blockiert, die für die Muskelkontraktion verantwortlich sind. Dadurch entspannen sich die Kaumuskeln, was zu einer Reduzierung des Tinnitus, Zähneknirschen, Kiefergelenksbeschwerden und Spannungskopfschmerzen führen kann.

Wirkung: In der Fachliteratur finden sich zunehmend Berichte über eine Verbesserung und Rückgang der Lautheit des Tinnitus. Die Wirkung ist jedoch noch nicht allumfassend geklärt. Die Normalisierung der Kaumuskulatur scheint sich positiv auf den Tinnitus auszuwirken. Ein Heilversprechen bzgl. des Tinnitus können wir jedoch zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht aussprechen, sehen jedoch bei vielen unserer behandelten Patienten einen positiven Zusammenhang. Ein Rückgang des vermehrten Wachstums der Kaumuskulatur und der daraus resultierenden Kiefergelenksschmerzen fanden wir jedoch bei nahezu all unseren Patienten.

 

Nebenwirkungen:

Obwohl die Botoxtherapie der Kaumuskulatur in der Regel sicher ist, können wie bei jeder Behandlung Risiken auftreten. Dazu gehören vorübergehende Schwäche benachbarter Muskeln, vorübergehende Kopfschmerzen oder Unwohlsein sowie sehr selten allergische Reaktionen. Es ist wichtig, alle Risiken mit Ihrem behandelnden Arzt zu besprechen und alle Fragen oder Bedenken vor der Behandlung zu klären. Bei der Patientin unseres Fallbeispiels zeigte sich in den ersten zwei Wochen lediglich ein leicht erschwertes Kaugefühl bei sehr harten Nahrungsmitteln. Es kam zu einem Rückgang des Kaumuskels und somit zu einer diskreten Verschmälerung der Kontur des Gesichts.

Wann keine Behandlung mit Botox durchgeführt werden sollte: Aus Sicherheitsgründen wird in folgenden Fällen von einer Behandlung mit Botox abgeraten:

  • bei Muskelerkrankungen
  • bei Entzündungen im zu behandelnden Bereich
  • kurz nach einer Antibiotikabehandlung oder im akuten Infekt
  • während der Schwangerschaft oder Stillzeit

Verlauf:

Die meisten Patienten erleben innerhalb von einigen Tagen bis zu einer Woche nach der Behandlung eine spürbare Reduzierung des Tinnitus, des Zähneknirschens, sowie eine Reduktion der Kiefergelenksbeschwerden. Bis die vollständige Wirkung des Botulinumtoxins einsetzt, kann es bis zu 2 Wochen dauern und hält dann ca. 3-6 Monate an. Wiederholte Behandlungen können erforderlich sein, um langfristige Ergebnisse aufrechtzuerhalten.

Die Patientin des Fallbeispiels kommt alle 5 Monate regelmäßig zur erneuten Injektion. Gegen Ende des Wirkzeitraums nehmen Tinnitus und Kiefergelenksschmerzen zu und signalisieren der Patientin einen neuen Termin in unserer Praxis zu vereinbaren.

 

Kosten:

Die Behandlung mit Botulinumtoxin A ist noch nicht Teil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkassen. Die Kosten betragen etwa zwischen 350 EUR und 550 EUR (Richtwert, die Berechnung erfolgt immer individuell) und sind daher zunächst privat zu tragen.